Verblödung ist ein hartes Wort. Ein netteres fällt Gerd Koenen aber nicht ein, wenn er an die Diskussionen um Günter Wallraff, die Stasi und die Rosenholz-Dateien denkt. Die Linke als Auftragsarbeit der Stasi? Unsinn, sagt Koenen. Ein bedeutender Teil der bundesdeutschen Linken vor 1989 war der DDR nicht durch Auftrag, sondern durch eine gemeinsame Weltsicht verbunden. Koenen, ein Chronist der radikalen Linken (soeben erschien sein Buch Vesper, Ensslin, Baader), weiß das aus eigenem Erleben.

Nicht nur er. Aber Koenen gehört zu den wenigen, die darüber öffentlich sprechen. Man muss schon lange suchen, bis sich noch jemand findet, der sich ähnlich äußern mag. Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin zum Beispiel, dessen Verhältnis zum Linksradikalismus gleichfalls nicht immer nur theoretisch gewesen ist. "Die Fixierung auf die Staatssicherheit ist absurd", sagt auch Wilke und verweist auf die sogenannte Berija-Affäre. Unter "Affären" waren im Komintern-Jargon stets interne Machtkämpfe zu verstehen. Der Georgier Lawrentij Pawlowitsch Berija, Stalins Blut saufender Geheimdienstchef, wurde Ende Juni 1953 verhaftet und im Dezember erschossen; ihm wurde insbesondere vorgeworfen, den Geheimdienst über die Partei gestellt zu haben. Seither galt die Herrschaft der Partei über sämtliche Staatsorgane als absolutes Prinzip. Weshalb, so argumentiert Wilke, nicht hauptsächlich über die "Stasi im Westen", sondern über die SED gesprochen werden müsse: "Sie war bis zum Schluss die einzige gesamtdeutsche Partei, und sie hat einen starken Einfluss auf die westliche Linke ausgeübt."