Über kurz oder lang

Von Andreas Fasel
Veröffentlicht am 23.10.2011Lesedauer: 6 Minuten

In Bielefeld haben sich die besten Morsefunker der Welt getroffen. Einer von ihnen ist Fabian Kurz. Als Training hört er sich ganze Romane im Morsecode an

In Deutschland gibt es rund 40 000 Funkamateure, die mit langen Antennen Signale aus der ganzen Welt empfangen. Manche von ihnen benutzen dabei sogar noch immer das Morsealphabet, das als offizielle Funksprache eigentlich ausgedient hat. In Bielefeld trafen sich solche Schnelltelegrafen nun zu einer Weltmeisterschaft, die heute endet. Favorit in der Disziplin "Rufzeichen hören" war Fabian Kurz, 27 Jahre alt, geboren in Rheine. Das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Welt am Sonntag: Herr Kurz, es gibt Handys, es gibt das Internet, es gibt Twitter. Wozu setzen sich Menschen an einen Kurzwellen-Sender und verschicken Funksignale?

Fabian Kurz: Das ist ungefähr so, als würde man sagen, in Zeiten, in denen es Motorschiffe und Schnellboote gibt, braucht man nicht mehr zu segeln.

Welt am Sonntag: Das Funken macht Ihnen also einfach nur Spaß?

Fabian Kurz: Richtig. Funkamateure begeistern sich für die Technik. Und noch etwas kommt hinzu: Wenn ich jemanden mit dem Telefon anrufe, dann muss ich eine bestimmte Person anwählen. Beim Funken weiß ich nie vorher, wer auf meinen Ruf antworten wird.

Welt am Sonntag: Zufallsbekanntschaften kann man heutzutage auch in Internet-Chats machen ...

Fabian Kurz: ... da herrscht eine völlig andere Atmosphäre. Funkamateure senden gewissermaßen mit offenem Visier, jeder kann mithören, das kann man mit Chatrooms nicht vergleichen. Und es können sich höchst interessante Gespräche ergeben. Zum Beispiel funkt auch ein Bordingenieur der deutschen Neumayer-Antarktis-Station. Es kann also sein, dass man plötzlich Kontakt zu ihm bekommt. Auch die meisten Astronauten und Kosmonauten haben Funklizenzen, mit viel Glück kann man schon mal einen Funkspruch von denen erwischen.

Welt am Sonntag: Man kann Funksprüche aus dem All empfangen?

Fabian Kurz: Ja. Rein technisch ist das sogar der einfachste Weg für Funkwellen - zwischen Sender und Empfänger befindet sich nichts als Luft.

Welt am Sonntag: Sie beschäftigen sich mit einer ganz besonderen Art des Funkens. Sie morsen. Ich dachte, das Morsealphabet habe längst ausgedient.

Fabian Kurz: Es ist richtig, dass der kommerzielle Seefunkdienst Ende der 90er-Jahre das Morsen eingestellt hat. Bis dahin wurden Telegramme von Schiffen und Wetterberichte mit der Morsetechnik übermittelt. Und auch bei uns Funkamateuren braucht man mittlerweile keine Morseprüfung mehr abzulegen, um eine Lizenz von der Bundesnetzagentur zu bekommen. Aber es gibt immer noch Länder, in denen viel gemorst wird.

Welt am Sonntag: Wie bitte?

Fabian Kurz: Aber ja doch. In Russland, Weißrussland oder Rumänien hat das Morsen eine große Tradition, das wird dort als Sport gefördert. In Weißrussland gibt es sogar Schulen für Radiosport. Um in deren Nationalmannschaft reinzukommen, muss man sich auf drei Ebenen qualifizieren. Bei uns in Deutschland ist das Morsen nur eine Randerscheinung des Amateurfunks. Beim deutschen Telegrafiepokal nehmen 30 Leute teil, und vielleicht zehn davon trainieren ernsthaft.

Welt am Sonntag: Wie kommt ein junger Mensch wie Sie eigentlich dazu, ein solches Randgruppen-Hobby auszuüben?

Fabian Kurz: Ich habe schon als Kind gern am Radio rumgedreht und den Kurzwellenfunk gehört. Und damals konnte man da nicht nur Radiosender hören, sondern manchmal auch noch Morsesignale der Seefunkdienste. Das fand ich spannend. Das Morsen hat ja was von einer Geheimsprache. Und ich wollte wissen, was es damit auf sich hat und wie das funktioniert. Mit 13 fing ich dann an, das Morsealphabet zu lernen.

Welt am Sonntag: Wie lernt man das denn?

Fabian Kurz: Es gibt Morsekurse bei den Funkamateuren. Ich habe es mir aber mit einem Computerprogramm selbst beigebracht. Und vom Hausdach bis in die Ecken des Gartens habe ich eine 40 Meter lange Drahtantenne aufgebaut. Damit konnte ich um die ganze Welt funken. Meine erste Funkverbindung hatte ich mit einem Funkamateur in Nottingham. Ich war noch nicht besonders schnell und war froh, dass ich mein Rufzeichen, meinen Standort und ein bisschen was übers Wetter mitteilen konnte.

Welt am Sonntag: Wie lange dauert es, bis man das Morsealphabet intus hat?

Fabian Kurz: Man rechnet zwischen sechs Wochen und drei Monaten. Aber das Alphabet zu beherrschen ist nicht das Problem. Schwierig wird es erst, wenn man Morsezeichen hörend entziffern will.

Welt am Sonntag: In alten Agenten- oder Kriegsfilmen sieht man manchmal Herren vor Morseapparaten sitzen, aus denen Papierstreifen mit Pünktchen und Strichen herauslaufen.

Fabian Kurz: Das wurde vielleicht Anno Tobak so gemacht. Aber ein richtiger Funker muss einen Morsefunkspruch hörend entziffern können.

Welt am Sonntag: Sie hören eine bestimmte Abfolge von kurzen und längeren Tönen und wissen dann sofort, welche Buchstaben gemeint sind?

Fabian Kurz: Genau. Eine Strichlänge ist dreimal so lang wie ein Punkt, zwischen zwei Buchstaben gibt es eine Pause, die so lang ist wie eine Strichlänge, zwischen zwei Worten müssen wir eine Pause von sieben Punktlängen machen. Aber ich zähle natürlich nicht die einzelnen Zeichen, sondern achte eher auf den ganzen Klang.

Welt am Sonntag: Sie können also einen gemorsten Text direkt verstehen?

Fabian Kurz: Ja. Zur Übung wandle ich mit entsprechenden Computerprogrammen ganze Romane in den Morsecode um. Und die lade ich mir dann auf meinen MP3-Player - und höre sie an.

Welt am Sonntag: Andere hören Romane als Hörbücher, Sie hören Romane in Form von Piepstönen. Es dauert vermutlich ewig, bis Sie durch ein Buch durch sind.

Fabian Kurz: Ich kann etwa hundert Wörter pro Minute hören. Das ist ungefähr das halbe Tempo, das ein durchschnittlicher Nachrichtensprecher hat.

Welt am Sonntag: So schnell kann ein Mensch doch unmöglich dieses Lang-kurz-lang-Gepiepse entziffern.

Fabian Kurz: Es ist vergleichbar mit dem normalen Lesen, man erkennt auf Anhieb ganze Wörter. Nur wenn neue Namen im Roman auftauchen, dann brauche ich manchmal ein bisschen länger und muss zurückspulen.

Welt am Sonntag: Sie sagen, in Russland und Weißrussland sei das Morsen ein richtiger Sport. Trotzdem waren Sie in der Disziplin "Rufzeichen hören" schon Europa- und Weltmeister.

Fabian Kurz: Anfangs waren wir Deutschen auf diesen Wettbewerben nur so eine Art Kanonenfutter für die anderen. Aber in den letzten Jahren ist es uns, aber auch einem Serben und einem Bulgaren ein paar Mal gelungen, uns in die Weltspitze einzuschleichen.

Welt am Sonntag: Die deutsche Telegrafie blüht demnach auf?

Fabian Kurz: (Er lacht) Sicherlich, wir könnten ein paar Leute mehr sein. Aber auch schon vor 50 Jahren wurde geunkt, der Amateurfunk gehe den Bach runter. Und derzeit steigt die Zahl der deutschen Funkamateure sogar leicht an. Zwar nimmt das Internet dem Amateurfunk ein bisschen was vom Reiz des globalen Kommunikationsmittels. Aber andererseits kann man übers Internet sehr gut Menschen ansprechen und für die Telegrafie gewinnen.

Welt am Sonntag: Jetzt mal ehrlich: Manchmal träumen Sie davon, dass ein Szenario eintritt, bei dem Sie als Morsefunker plötzlich gebraucht werden und für Rettung sorgen - oder?

Fabian Kurz: Ich bin natürlich davon überzeugt, dass das Morsen allen anderen Übertragungsarten überlegen ist, weil die Technik so simpel ist. Und theoretisch könnte man sogar noch auf einem kleinen Segelboot im Pazifik ein altes Kofferradio zum Kurzwellensender umbauen und damit Morsesignale senden. Aber ich gebe zu, dass das natürlich weit hergeholt ist.


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