Mitgefühl gegenüber anderen Menschen, neue Perspektiven ausserhalb der eindeutigen Zuweisung von «gut und böse», Vielschichtigkeit statt Eindeutigkeit: Das sind die Eigenschaften eines Grossteils der Filme, die an den 61. Solothurner Filmtagen im kommenden Januar zu sehen sein werden.
«Die Filmschaffenden des aktuellen Jahrgangs haben ein feines Gespür dafür, wonach viele Menschen sich derzeit sehnen», sagte Niccolò Castelli, künstlerischer Leiter der Solothurner Filmtage am Rand der Medienkonferenz zum Programm der 61. Ausgabe zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Insofern spielten die Filmschaffenden eine Vorreiterrolle. «Mit ihren Filmen verabschieden sie sich von Schwarz-Weiss-Erzählungen, sie hinterfragen klassische Muster von Täter und Opfer und sie lassen Zwischentöne zu», so Castelli weiter.
Klassische Heldenfilme, in denen eine Person die Welt rettet, funktionierten vor diesem Hintergrund heute nicht mehr. Vielmehr falle inhaltlich auf, dass Filme sich gegenüber neuen Themen, wie der Wissenschaft, öffnen und dass «sie ein besonderes Augenmerk auf das Mitgefühl und die eigenen Perspektiven der Protagonistinnen und Protagonisten legen».
Neue Perspektive auf den Investmentbanker
Exemplarisch dafür steht der Eröffnungsfilm «The Narrative» von Bernhard Weber und Martin Schilt. Die beiden Filmemacher erzählen die Geschichte des 2012 verurteilten UBS-Investmentbankers Kweku Adoboli. Er hatte der grössten Schweizer Bank 2011 mit risikoreichen Spekulationen einen Handelsverlust von 2,3 Milliarden Dollar eingebrockt und dafür die Verantwortung übernommen.
Weber und Schilt haben Adoboli nach dem Urteil gegen ihn in London, seiner Haft und seiner Abschiebung nach Ghana jahrelang begleitet und erteilen ihm mit ihrem Film das Wort. «The Narrative» ist im Übrigen einer von acht Filmen, die für den Prix de Soleure nominiert sind.
Ein weiteres Beispiel für einen differenzierten Blick liefert die Genfer Filmemacherin Edna Politi, der im Rahmen des Spezialprogramms «Rencontre» die Retrospektive gewidmet ist. Ihr filmisches Werk umfasst neben sozialkritischen Reportagen für das Fernsehen und Filmen über zeitgenössische Musik besonders drei Filme zum Nahen Osten in den 1970er-Jahren. Sie bewegt sich zwischen der arabischen, jüdischen und europäischen Kultur.
Seit vier Jahrzehnten lebt Politi in Genf und wurde 1948 - im Jahr der Staatsgründung Israels - als libanesische Jüdin im Libanon geboren. Sie gilt als Stimme des Dialogs zwischen diesen Kulturen.
Querschnitt durch aktuellen Schweizer Film
Empathie und Komplexität prägen ganz generell die Filme im Programm «Panorama Schweiz». Dieses Programm ist das eigentliche Herzstück der Werkschau schweizerischen Filmschaffens. Mit den 93 selektionierten Lang- und 71 Kurzfilmen nehmen die Solothurner Filmtage für sich in Anspruch, einen Querschnitt durch die aktuellen Schweizer Produktionen zu präsentieren. Die Filme spiegelten die Vielfalt der Schweizer Gesellschaft und deren Position in der Welt, so die Verantwortlichen.
Inhaltlich fragen die Filme, was es in einer krisenhaften, unsicheren und ungerechten Welt heisst, einen Platz zu finden und Teil einer Gemeinschaft zu werden. Es geht etwa um einen Jugendlichen, der von Heim zu Heim weitergereicht wird, um eine Mutter, die gegen soziale Ausgrenzung, Schulden und Arbeitslosigkeit ankämpft oder einen Mann, für den Leistung und Arbeit kein Thema mehr sind. Oder es geht um Menschen, die alles hinter sich lassen mussten und sich in einer neuen Kultur ein neues Leben gebaut haben.
Frauen noch immer in der Minderheit
Von den 93 Filmen im «Panorama Langfilme» feiern 21 ihre Weltpremiere und weitere 18 die Schweizer Premiere. Programmiert sind aber auch Werke, wie «Hallo Betty», «Heldin» oder «Stiller», die bereits in den Kinos zu sehen waren. 45 dieser Filme sind Produktionen aus der Deutschschweiz, 30 aus der Romandie und 9 aus der italienischen Schweiz. Zudem teilen sich die Filme in die Genres Spielfilm (30) und Dokumentarfilm (61) auf.
Für die drei Wettbewerbe «Prix de Soleure», «Prix du Public» und «Visioni» wurden insgesamt 22 Filme ausgewählt. Davon stammen 36 Prozent von Frauen. Und: Wie im «Panorama Langfilme» zeigt sich auch hier ein «ausgewogenes Verhältnis zwischen der Französischen Schweiz und der Deutschschweiz», mit elf Filmen aus der Deutschschweiz, neun aus der Romandie und zwei aus der italienischen Schweiz.
Insgesamt wurden 478 Filme eingereicht; ausgewählt für das Programm haben die Verantwortlichen 164. Die 61. Solothurner Filmtage finden vom 21. bis 28. Januar statt. (sda/spo)
Von Andrea Fiedler (Keystone-SDA)

