Eiskunstlauf

Olga Mikutina und ihre Welt auf Eis, fern der Sorgen

Der Krieg in ihrem Geburtsland Ukraine beschäftigt Olga Mikutina. Umso mehr zählen die Momente auf Kufen – bei sich selbst.

Trotz fordernder Umstände möchte Olga Mikutina ihre Leistungen in dieser Saison bestätigen.
Trotz fordernder Umstände möchte Olga Mikutina ihre Leistungen in dieser Saison bestätigen.REUTERS

Wien. „Wenn ich auf das Eis gehe, kann ich mich in eine andere Welt denken“, sagt Olga Mikutina. In dieser Welt haben Schulstress und Alltagsprobleme keinen Platz, gerade aber ist es allem voran eine wichtige Pause von den Sorgen um die eigene Familie in der Ukraine. Sie selbst übersiedelte vor sieben Jahren als hoffnungsvolles Eiskunstlauf-Talent mit ihrer Mutter von Charkiw nach Feldkirch. Vater und Großeltern blieben im Geburtsland, das mit dem russischen Einmarsch am 24. Februar zum Kriegsgebiet wurde. „Die Situation war sehr schwierig und beschäftigt mich“, sagt die 19-Jährige.

Täglich verfolgt Mikutina die Nachrichten aus der Ukraine und telefoniert mit Angehörigen – sofern möglich. Der Kontakt mit einem Großvater in Luhansk brach vor eineinhalb Monaten ab, er hat kein Internet und das Telefonnetz ist außer Betrieb. Der Vater pendelt zwischen Charkiw und Polen, wo er ein Charity-Eishockeyturnier organisiert, um Geld zu sammeln. Dadurch blieb ihm vorerst der Militärdienst erspart. „Im schlimmsten Fall würde er wohl in den Krieg ziehen, aber im Moment denkt er, dass Spenden mehr nützen“, berichtet Mikutina. Von Vater und Freunden weiß sie, dass ihr altes Wohnhaus noch steht – und auch das Leben in der Ostukraine weitergeht. „Die Menschen versuchen zu leben, auch wenn immer wieder die Sirenen gehen.“

Die Schreckensmeldung aus der alten Heimat erreichte Mikutina just kurz nach einem bisherigen Karriere-Highlight. In Peking krönte sie ihr Olympia-Debüt mit Rang 14. Ihr großes Potenzial hatte der Schützling von Elena Romanowa als WM-Achte im Jahr zuvor aufgezeigt. Ungeduld oder Druck macht sich der Teenager trotzdem nicht. „Mein Ziel ist nicht, eine bestimmte Platzierung zu erreichen, sondern die Energie zu spüren, wenn dem Publikum mein Lauf gefällt“, sagte sie. Auch deshalb könne sie die Außenwelt in diesem Moment so gut ausblenden. „Ich versuche, in dieses Gefühl reinzukommen, mich auf den Tanz zu konzentrieren und zu genießen.“

Im Fokus der Szene

Dieses Mal bremsten keine Beschwerden die Vorbereitung auf die neue Saison, die diese Woche den Grand Prix in Frankreich bereithält. „Ich fühle mich gut, bin fit und hoffe, dass es so bleibt“, sagt Mikutina, die lediglich Kleinigkeiten am Erfolgsprogramm geändert hat und ihren Punkterekord (198,77) damit auf über 200 Zähler steigern möchte. Die Konkurrenz verfolgt sie nicht, „ich konzentriere mich ganz auf mich selbst“. Dass sie mit ihren Leistungen bei Preisrichtern und Konkurrenz aufgefallen ist, hat sie jedenfalls wahrgenommen. „Das Interesse ist größer geworden, ich habe viel mehr Fans. Das gibt mir noch mehr Kraft.“

Die wird Mikutina brauchen, denn es warten intensive Wochen. Auf den Grand Prix in Angers folgt Schule samt Abschlussball bevor es weiter nach Japan geht. Neben dem Spitzensport gilt der Ehrgeiz der Vorarlbergerin auch der Vorbereitung auf die Matura. Denn so gern Mikutina auf Kufen in eine andere Welt abtaucht, „ich möchte mich auch geistig entwickeln“, sagt sie. Zumal die traurige Realität in der Ukraine sie regelmäßig einholt. „Ich würde sehr gern meine Familie wiedersehen und meine Heimatstadt besuchen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2022)

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