Flüchtlinge strömen in Exklaven

Jede Nacht versuchen hunderte Flüchtlinge die Grenzzäune der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko zu überwinden. Vielen gelingt es, obwohl die Zäune immer höher werden. Die Auffanglager sind inzwischen völlig überfüllt. Die Verantwortung dafür sieht Spanien bei Marokko.

Von Oliver Glaap, ARD-Hörfunkkorrespondent Madrid

Bisher waren es Doppelzäune, jetzt sollen es Dreifachzäune werden. Die spanische Regierung versucht, Ceuta und Melilla, ihre Exklaven in Marokko immer mehr abzuriegeln. In der Hoffnung, den Ansturm afrikanischer Flüchtlinge wenigstens bremsen zu können. Ganze Hundertschaften rennen nahezu jede Nacht gegen die Grenzzäune an, um auf diese Weise auf dem kürzest möglichen Weg von Afrika in die Europäische Union zu kommen. Dass die spanische Grenzpolizei Guardia Civil dabei total überfordert ist, gibt einer ihrer Gewerkschaftssprecher unumwunden zu: „Uns hat man eine Verantwortung zugeschoben, die eigentlich andere hätten übernehmen sollen. Uns fehlen die Leute“, sagt er.

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Ende letzter Woche setzte die spanische Regierung über 400 Soldaten in Marsch, um die Grenzen zusätzlich zu sichern. Geholfen hat es nicht. Im Gegenteil: Wenige Nächte später versuchten etwa 700 Flüchtlinge bei Melilla ihr Glück, und über 350 schafften es – so viele wie nie zuvor. Und diesmal suchten sie sich nicht die niedrigsten Stellen des Grenzzauns aus, sondern stürmten dort, wo er bereits von drei auf sechs Meter aufgestockt worden war. Sie rissen sogar Teile des Zaunes nieder und griffen Grenzposten mit Steinen und Knüppeln an. Auch die Soldaten waren da überrumpelt und im Grunde auch wehrlos, sagt deren Gewerkschaftssprecher. „Wir Soldaten haben keine Möglichkeit, uns gegen Angriffe zu wehren“, so der Sprecher. Mit einem Schild und einem Knüppel bekäme man das Problem nicht in den Griff, sagt er.

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Seit jener Nacht, als fünf Flüchtlinge beim Sturm über die Grenze starben, stehen die Grenzposten noch mehr unter kritischer Beobachtung. Die Schüsse, durch die zwei der Flüchtlinge tödlich getroffen wurden, seien nicht von der spanischen Seite abgefeuert worden, erklärten die spanischen Behörden. Und Verteidigungsminister José Bono machte deutlich, dass das spanische Militär nur mit äußerster Vorsicht gegen anstürmende Flüchtlinge operieren könne. „Man kann sie nicht wie normale Kämpfer behandeln“, sagt Bono. Keinem käme es in den Sinn, dass die Soldaten das Feuer auf sie eröffnen sollen. „Sie werden es nicht, sie haben keine Anweisung dazu“, versichert er.

Auffanglager völlig überfüllt

Ceuta und Melilla platzen derweil aus allen Nähten. Die Auffanglager sind dreifach überfüllt, viele der Immigranten schlafen auf der Straße. Mindestens 100 Illegale wurden bereits zur Entlastung auf das spanische Festland geschickt. Am liebsten wäre es den spanischen Behörden allerdings, wenn sich die Flüchtlinge den Grenzzäunen gar nicht erst nähern könnten. Und der Verwaltungschef von Melilla erklärt unverblümt: „Die Lösung des Problems liegt auf der anderen Seite des Grenzzauns.“ Seiner Ansicht nach sei in jener Nacht die marokkanische Kooperation nicht groß gewesen. „Da passiert eben, was passiert ist“, so der Verwaltungschef.

Die marokkanische Regierung müsse stärker zur Kooperation gedrängt werden, fordert seit Tagen die konservative Opposition in Spanien. Und auch Innenminister José Antonio Alonso versicherte, sich „mit aller Entschlossenheit“ auf dem diplomatischen Weg dafür einzusetzen, dass Marokko wie versprochen seine Verpflichtungen erfülle. „ich hoffe, wünsche und vertraue darauf, dass das geschieht“, betonte Alonso.

Flüchtlinge als „trojanisches Pferd“?

Manche Politiker in Spanien argwöhnen allerdings, dass die marokkanische Regierung aus den Flüchtlingsproblemen von Ceuta und Melilla politischen Nutzen ziehen wolle. Denn Marokko erhebt seit Jahrzehnten Anspruch auf die beiden spanischen Exklaven und könne nun, so wird vermutet, stärkeren Druck ausüben. „Afrikanische Flüchtlinge als trojanisches Pferd“, so formulierte es die spanische Tagszeitung „El Mundo“.

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