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Lex Silia

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(Weitergeleitet von Lex Calpurnia)

Die lex Silia war ein römisches Gesetz aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Ein konkretes Datum der Promulgation lässt sich nicht bestimmen, Spekulationen folgend, kommen 244 v. Chr. oder 269 v. Chr. in Betracht.[1] Der klassische Jurist Gaius befasste sich mit dem Gesetz. Er erläuterte, es habe ein gerichtsorganisatorisches Problem des frühen römischen Zivilprozesses aufgegriffen und erstmaligs die Klagbarkeit formloser Darlehen (mutua) statuiert.[2] Die lex wies konkret an, dass Gläubiger bis zur gerichtlichen Geltendmachung der Rückzahlung ihrer Darlehen zukünftig eine Frist von dreißig Tagen einzuhalten hatten, damit der Schuldner Gelegenheit bekam, den Streit außergerichtlich beizulegen.

Das mutuum war, sofern nicht im Rahmen einer formstrengen Stipulation vereinbart, als formloser Darlehensvertrag ein sogenannter Realvertrag. Realverträge prägten bereits das Kreditvergabesystem des altrömischen Rechtsverkehrs und waren bedeutender Bestandteil des privaten wie gewerblichen Wirtschaftskreislaufs. In Rom galten formlose Darlehen ursprünglich aber nicht als schuldrechtliche Verbindlichkeit. Charakteristisch war allein die Sachleistung in Form einer schlichten rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung.[3] Vergleichbar der Rückforderung aus der condictio indebiti, war die Vermögensverschiebung zu gegebener Zeit lediglich wieder rückgängig zu machen.[4] Da eine Absprache in diesen Fällen nicht zugrunde lag, war das Darlehen reiner Realvertrag und nicht etwa ein auf einer Einigung beruhender Verbal- oder Konsensualvertrag. Die Rückgewähr war bis zur lex Silia daher wohl nicht klagbar.[5]

Eingebettet war die Geltendmachung der Ansprüche aus der lex Silia in das System der Legisaktionen.[6] Die Durchsetzung wurde durch das lege agere per condictionem angeordnet. Die neu eingerichtete Klageform ging – in Abweichung zu den Regeln des Zwölftafelgesetzes – auf die Rückforderung einer bestimmten Geldsumme (certa pecunia).[7]

Die lex Silia war Vorbild für andere Tatbestände. Unter mehreren (zu unterschiedlichen Zeiten erlassenen) leges Calpurnia, beschäftigte sich eine lex Calpurnia ebenfalls mit der Problematik von Rückforderungsansprüchen aus formlosen Rechtsgeschäften. Gaius beschrieb auch hier das Klageziel. Es bestand nicht in der Rückforderung einer „bestimmten Geldsumme“, sondern in der Rückforderung einer „bestimmten Sache(de omni certa re).[8] Für das Gesetz, das möglicherweise unter dem Stadtprätor des Jahres 211 v. Chr., Gaius Calpurnius Piso, entstanden ist, galt die Legisaktion per condictionem wohl ebenfalls,[9] was in Einzelfällen (etwa bei Sachuntergang) allerdings schwieriger und streitiger Nachweisbarkeit unterliegt.[10]

  1. Mario Varvaro: Per la storia del „certum“. Alle radici della categoria delle cose fungibili. Turin, G. Giappichelli Editore, 2006. ISBN 978-88-3488554-3, S. 95 (Fn. 319) und S. 180 f. (Fn. 631).
  2. Gaius, Institutiones 4,17b–19; vgl. Michel Humbert: Faktoren der Rechtsbildung. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5. Band I, § 1, S. 3–31, hier S. 7.
  3. Ulpian, 1 Regularum libri VII, in Digesten 50,16,213,1.; vgl. dazu Max Kaser: Eranion in honorem Georgii S. Maridiakis, qui in fungendo professoris munere annos iam XXXV docendo consumpsit I. Historia iuris, 1963. S. 168–171. (= Ausgewählte Schriften Band 2, S. 286–289.)
  4. Peter Gröschler: Römische Rechtsschichten. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Sachleistung zur Schuldbegründung (Realkontrakte). Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5. Band I, § 22, S. 625–633, hier S. 631 (Rn. 5).
  5. Gaius, Institutiones 3,132 (Darlehensrückgewähr ausgeschlossen bei formlosen Darlehen, weil kein anerkannter Rechtsakt des ius civile.; Max Kaser: Das römische Zivilprozessrecht. 2. Auflage / neu bearbeitet von Karl Hackl, C. H. Beck, München 1996. ISBN=3-406-40490-1. S. 112.
  6. Ulrike Babusiaux: Römische Rechtsschichten. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5. Band I, § 6, S. 114–192, hier S. 130 (Rn. 50).
  7. Mario Varvaro: Die Legisaktionen. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5. Band I, § 9, S. 321–341, hier S. 336 (Rn. 57).
  8. Gaius, Institutiones 4,18 f.
  9. Max Kaser: Das römische Zivilprozessrecht. 2. Auflage / neu bearbeitet von Karl Hackl, C. H. Beck, München 1996. ISBN=3-406-40490-1. S. 111 (Fn. 4).
  10. Unter Berufung auf Werner Flume können Untergangsgründe eine kondiktorische Gleichbehandlung mit der datio (Rückgabe einer erhaltenen Sache) rechtfertigen, vgl. Fritz Sturm: Sonja Heine, Condictio sine datione. Zur Haftung aus ungerechtfertigter Bereicherung im klassischen römischen Recht und zur Entstehung des Bereicherungsrechts im BGB. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 126, Heft 1, 2009, S. 546–558, hier S. 554.