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Hyginus Mythographus

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De astronomia 3, 30–31 im Codex Laurentianus, Pluteus 89 sup 43 der Biblioteca Medicea Laurenziana, etwa 1450–1500

Unter dem Verfassernamen Hyginus sind zwei mythographische Handbücher in lateinischer Sprache überliefert. Das eine heißt Genealogiae und ist auch unter dem Titel Fabulae bekannt, das andere ist astronomisch-mythographisch und trägt den Titel De astronomia. Die Identität des Autors ist unklar, daher wurde er „Hyginus Mythographus“ genannt. Möglicherweise ist er mit Gaius Iulius Hyginus, einem Zeitgenossen des Kaisers Augustus, gleichzusetzen.[1] Von einem Teil der Forschung werden die unter dem Namen ‚Hyginus‘ kursierenden Werke, insbesondere die Genealogiae, hingegen erst in das 2. Jahrhundert n. Chr. datiert.[2]

Die Genealogiae bestehen aus drei Teilen: Stammbäumen der Götter und Heroen, 220 „fabulae“ (Einzelsagen) und sogenannten Indices (listenartige Zusammenstellungen). Die „allen bekannte Genealogie des Hyginus“ wurde im Jahr 207 („im Konsulatsjahr des Maximus und Aper“) ins Griechische (rück-)übersetzt. Als Quellen hatte der Verfasser offenbar ein griechisches mythologisches Handbuch, vergleichbar der Bibliotheke des Apollodor, sowie griechische Tragödien (Aischylos, Sophokles, Euripides) und Epen (Homer, Hesiod) verwendet.

Das astronomisch-mythologische Handbuch De astronomia in vier Büchern stellte im Mittelalter eine erstrangige Quelle für die antiken Sternbildsagen dar und wurde daher viel kopiert; seit dem 9. Jahrhundert entstanden Abschriften mit teils aufwendigen und kunsthistorisch wichtigen Illustrationen.

Literarische Prominenz erhielt Hygins Fabel 220 (Cura, „Die Sorge“) bei Goethe, der die Fabel – vermittelt über Herders Gedicht Das Kind der Sorge[3] – im Faust. Der Tragödie zweiter Teil (Verse 11384–11510) adaptierte.[4] Philosophische Prominenz erhielt diese Fabel wiederum durch ihre Interpretation im Rahmen der Daseinsanalytik in Martin Heideggers Schrift Sein und Zeit (§ 42) aus dem Jahr 1927, die ihrerseits von Hans Blumenberg eine zeitgeschichtliche Kontextuierung und Kommentierung erfuhr.[5]

Editionen und Übersetzungen

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  • Hyginus: Fabulae. Herausgegeben von Peter Kenneth Marshall. Teubner, Stuttgart/Leipzig 1993.
  • Hyginus: Sagen. In: Griechische Sagen. Eingeleitet und übertragen von Ludwig Mader (= Bibliothek der Alten Welt). Artemis, Zürich/München 1963, S. 241–364; S. 376–388: Anmerkungen (Nachdruck Albatros, Düsseldorf 2003).
  • Antike Mythen. Hyginus, Fabulae. Mit Worterklärungen und Erläuterungen von Gerhard Röttger (= Modelle für den altsprachlichen Unterricht. Latein). Diesterweg, Frankfurt a. M. 1978.
Commons: Hyginus mythographus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Hyginus Mythographus – Quellen und Volltexte (Latein)
Wikisource: Hyginus Mythographus – Quellen und Volltexte
  1. So Peter Lebrecht Schmidt, Helmuth Schneider: Hyginus, C. Iulius. In: Der Neue Pauly (DNP), Bd. 5, Stuttgart 1998, Sp. 778 f.; André Le Bœuffle (Hrsg.): Hygin: L'astronomie, Paris 1983, S. XXXI–XXXVIII; Jean-Yves Boriaud (Hrsg.): Hygin: Fables, Paris 1997, S. VII–XIII; Mariagrazia F. Vitobello (Hrsg.): C. Giulio Igino: L'astronomia, Bari 1988, S. VII–XI.
  2. An einer Datierung in das 2. Jahrhundert festhaltend etwa: Marc Huys: Euripides and the ‘Tales from Euripides’: Sources of the Fabulae of Ps.-Hyginus? In: Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete. Band 42, 1996, S. 168–178, hier: S. 169; Marc Huys: Review: Hygin. Fables; texte établi et traduit par Jean-Yves Boriaud. In: Mnemosyne. Band 53, 2000, S. 615–620, hier: S. 616; Alan Cameron: Greek Mythography in the Roman World (= American Classical Studies. Band 48). Oxford University Press, Oxford/New York 2004, S. 11 mit Anm. 36; Patrizia Mascoli: Igino bibliotecario e gli Pseudo-Igini. In: Invigilata lucerni. Band 24, 2002, S. 119–125 geht davon aus, dass das unter dem Namen Hyginus kursierende Corpus Werke von mindestens zwei gleichnamigen Autoren umfasse.
  3. Vgl. J. G. Herder: Gedicht „Ein Kind der Sorge“ (1787, ²1798). In: Ders.: 3. Sammlung der Zerstreuten Blätter. In: Sämmtliche Werke, hg. B. Suphan, Bd. 29 (1889, Nachdruck 1968), S. 75.
  4. Vgl. Konrad Burdach: Faust und die Sorge. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Band 1, 1923, S. 1–60 (Digitalisat); Ellis Dye: Sorge in Heidegger and in Goethe's Faust. From Special Section on Goethe and Twentieth-Century Theory. In: Goethe Yearbook. Band 16, 2009, S. 207–218.
  5. Vgl. Hans Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß (= Bibliothek Suhrkamp. Band 965). Suhrkamp, Frankfurt a. M.1987, bes. S. 197–200.